N’abend allerseits,
es ist Montag … Zeit für unseren Buchtipp der Woche. Diese Woche: “Schmetterling und Taucherglocke” von Jean-Dominique Bauby. Ein trauriges Buch, das voller Lebensfreude ist. Auf den ersten Blick ein Widerspruch. Auf den zweiten nicht. Hier unsere Rezension dazu:
„Auf dem Namensschild an Sandrines weißem Kittel steht: Logopädin, aber es müsste heißen: Schutzengel. Sie war es, die den Kommunikationscode eingeführt hat, ohne den ich von der Welt abgeschnitten wäre“ (S. 41). Jean-Dominique kann nur noch mit dem linken Auge blinzeln. Mehr nicht. Sandrine zeigt ihm eine Tafel, auf der die Buchstaben des Alphabeths abgebildet sind – nach ihrer Häufigkeit in der französischen Sprache (das „f“ steht also beispielsweise vor dem „o“). Jedes Wort ist mühsam: Sandrine liest die Buchstaben nacheinander vor, bis Jean-Dominique blinzelt. Dann ist es der richtige Buchstabe. Nächster Buchstabe. Bis das Wort „fertig“ ist, das er sagen möchte. So sind die Worte und Sätze entstanden, die wir euch diese Woche als Buchtipp empfehlen möchten. Eine wahre Geschichte. Jean-Dominique ist 43 Jahre alt, hat zwei Kinder, ist verheiratet und von Beruf Chefredakteur der Zeitschrift „Elle“. Am 8. Dezember 1995: Hirnschlag. 20 Tage ist er im Koma. Dann wacht er auf. Er kann nichts mehr bewegen – außer seinem linken Auge. In der Medizin spricht man vom „Locked-in-Syndrom“; gefangen in sich selbst. Jean-Dominique nennt es „Taucherglocke“; er fühlt sich wie in einer Glocke, abgeschnitten von der Außenwelt. Allein. Erst möchte er einfach nur sterben – dann erwachen sein Lebensmut und sein Lebenswille. Weiter machen. Leben. Kommunizieren. Ein Buch schreiben. Titel: „Schmetterling und Taucherglocke“; im Geist fühlt er sich wie ein Schmetterling, frei, wie eh und je. Sein Buch besteht aus 29 kurzen Kapiteln … über seinen Alltag im Krankenhaus, über sein Leben vor dem Infarkt und über das danach. Das obige Zitat beispielsweise ist aus Kapitel 10, das den Titel „Schutzengel“ trägt. Traurige Zeilen. Aber auch schöne, witzige, berührende, anregende – humorvoll und tief blickt er auf sich und kommentiert seine Tage. Teilweise bleibt einem das Lachen im Halse stecken. Humor in tragischer Lebenslage. 15 Monate später ist das Buch fertig. Drei Tage nach der Veröffentlichung stirbt Jean-Dominique. Herzinfarkt. Seine Familie wird ihn in Erinnerung behalten. Wir anderen haben sein erstes und letztes Werk, das wir nur empfehlen können. „Gibt es in diesem Kosmos einen Schlüssel, um meine Taucherglocke aufzuriegeln? Eine Metrolinie ohne Endstation? Eine genügend starke Währung, um meine Freiheit zurückzukaufen? Ich muss anderswo suchen. Ich mache mich auf den Weg“ (S. 129). Das sind seine letzten Worte. Sein Weg endete wenig später. Hinterlassen hat er dieses Werk – ein Werk übers Leben und die Lebensfreude; so komisch sich das anhören mag. Ein „kleiner Lobgesang“ aufs Leben. 129 Seiten, erschienen 1998 bei „dtv“ – verfilmt von Julian Schnabel. Unser Buchtipp der Woche!